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EU-Battlegroups zwischen Wunsch und Wirklichkeit

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Grafik: Bundeswehr.de / Reese

“The Battlegroup has been described by officials as a specific form of rapid response whereby it is the minimum military effective, credible, rapidly deployable, coherent force package capable of stand-alone operations, or for the initial phase of larger operations.”

(European Parliament, DGExPo/B/PolDep/Note/2006_145, The EU Battlegroups, 12.09.2006)

Die EU-Battlegroups (EUBG) sind ein wichtiges Instrument für die EU-Krisenreaktionsfähigkeit im Rahmen der Europäischen Sicherheitsstrategie und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Nachdem der Rat der Europäischen Union im Jahre 2004 den Aufbau der Battlegroups im Zusammenhang mit der Erfüllung des Headline Goals 2010 beschlossen hatte, wurden zunächst eine, seit 2007 zwei Battlegroups pro Halbjahr von wechselnden EU-Mitgliedstaaten aufgestellt – ohne Dänemark und Malta, dafür unter Partizipation Norwegens und der Türkei.

Den Kern des Force Package bildet in der Regel ein verstärkter Infanterieverband in Bataillonsstärke. Hinzu kommen der Führungsstab und notwendige Unterstützungskräfte. EU-Battlegroups sollen nach einer erfolgten Einsatzlegitimation durch die VN innerhalb von zehn Tagen einsatzbereit sein und nach 15 Tagen im Einsatzgebiet aktiv eingreifen können. Die Einsatzszenarien sehen 30 Tage autarker Operationsfähigkeit, beziehungsweise 120 Tage mit entsprechender Unterstützung durch weitere Akteure im Einsatzgebiet vor. Finanziert werden die Battlegroups zum Großteil von den jeweils aktuellen Truppenstellern. Legt man den angedachten Aktionsradius von 6000km um die Stadt Brüssel zu Grunde, so sind Einsätze im Mittelmeerraum, in Nordafrika, in der Sahel-Zone und im Nahen Osten die wichtigsten potenziellen Operationsgebiete. Langfristig könnte der arktische Raum eine größere Rolle spielen. Denkbar sind vor allem Einsätze in zerfallenden Staaten und in Bürgerkriegen, bei der Gefahr von Staatsstreichen und Völkermorden in den Krisenregionen. Als schnelle Eingreiftruppe sollen die Battlegroups mithin die erste Truppenpräsenz bilden und die Grundlagen für long-term-missions, beispielsweise unter VN-Ägide schaffen.

Die EU-Battlegroups werden oft als politisch-militärisches Vorzeige- oder Leuchtturmprojekt der europäischen Verteidigungskooperation bewertet. In der Regel stellen zwei oder mehr Mitgliedstaaten gemäß eines Rotationsprinzips gemeinsam das Kräftedispositiv einer Battlegroup, sodass multinationales militärisches Funktionieren zwangsläufig eingefordert wird. In der Folge wirkte die Arbeit in einer EU-Battlegroup als Katalysator für Transformationsprozesse und Reformen innerhalb der nationalen Streitkräfte. Militärische Strukturen wurden auch ohne aktiven Kampfeinsatz multinational angepasst; die Interoperabilität der nationalen Streitkräfte wurde befördert. Die Handlungsfähigkeit der Union in Sachen Krisenreaktion habe sich zudem enorm vergrößert und effektiviert, heißt es aus Unionskreisen. Nicht zuletzt stelle sich die Abstimmung der Streitkräfte mit den Unionsorganen und -institutionen sowie auch mit den VN und der NATO als überaus fruchtbar dar. All diese Entwicklungen sind tatsächlich als grundlegende und wichtige Schritte in die richtige Richtung zu begrüßen. Zu welchem Ziel diese Schritte führen, insbesondere im aktuellen Zeitgeist von Pooling and Sharing, ist jedoch nicht klar definiert. Weitere Fortschritte, aber auch Rückschritte sind momentan denkbar.

Die Funktionalität der Battlegroups und damit auch der europäischen Krisenreaktionsfähigkeit auf militärischem Gebiet insgesamt, leidet unter einigen strukturellen Problemen und scheinbar unlösbaren Dilemmata. So wurden die Battlegroups bislang kein einziges Mal eingesetzt, weshalb viele Kritiker ihre Notwendigkeit grundlegend anzweifeln. Ohnehin seien die Battlegroups, so die Kritiker, nicht komplementär zur NATO, sondern gerade im Hinblick auf die NATO Response Forces (NRF) eine teure Doppelstruktur. Es gibt vielerlei Gründe, die ausschlaggebend für das bislang unterbliebene aktive Eingreifen der EUBG sind: Zunächst fehlt sowohl in vielen Mitgliedstaaten als auch auf europäischer Ebene der politische Wille zu diesem Schritt. Zweitens fehlt unter den EU-Mitgliedstaaten ein Konsens über die Frage, wann und wo europäische Sicherheitsinteressen grundlegend verletzt sind. Hier gliedert sich die Staatengemeinschaft grob in zwei Lager – Staaten, die das Militär als gängiges Instrument ihrer Sicherheitspolitik betrachten und solche, die das Militär erst am Ende einer viel länger konstruierten Reihe von Eskalationsstufen eingesetzt sehen wollen. Zu guter letzt ist auch die Kostenfrage nicht ausreichend solidarisch geklärt. Trittbrettfahrerei von Mitgliedstaaten, die wenig Engagement zeigen, wird von den Aktivposten europäischer Sicherheitspolitik immer wieder kritisiert.

Ein weiteres Problemfeld stellt der Unterschied zwischen politischen Prozesszeiten und militärischen Handlungsmechanismen dar, der sich innerhalb der Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße äußert. Krisenreaktion verlangt nach schnellen Entscheidungen. EUBG sollen eine schnelle, mobile Eingreiftruppe der Union darstellen. In Ländern mit Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen des Militärs geht dem Einsatz jedoch ein gewisser politischer, parlamentarischer Legitimationsprozess voraus, der Zeit und Mühe in Anspruch nimmt. Dieses Problem ist – man kennt es von schnellen Entscheidungen, die beispielsweise der Deutsche Bundestag in diesem Feld getroffen hat – nicht unlösbar. Es wirkt in der Entscheidungsfindung jedoch hemmend, wenn nicht abschreckend. Insgesamt kann man feststellen, dass das Fehlen der tatsächlichen politischen Union in Europa die Handlungsfähigkeit im militäischen Bereich beschränkt; ein strukturelles Problem der EU, das sich auf beinahe allen Politikfeldern niederschlägt (Außenpolitik, Finanz- und Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik etc.).

Zuletzt führte der Konflikt in Mali genau diese Problemstellungen vor Augen. Der Bürgerkrieg in Mali hat eigentlich genau den angedachten EUBG-Einsatzszenarien entsprochen. In den europäischen Gremien forderte jedoch lediglich eine kleine Minderheit die Entsendung der zu dieser Zeit gebildeten EUBG Weimar, bestehend aus deutschen, französischen und polnischen Truppen. Frankreich entschloss sich zum militärischen Alleingang unter punktueller, etwas unkoordiniert erscheinender Unterstützung einiger seiner Partner. Die Chance für Europa, sicherheitspolitisch in Gänze Verantwortung in seiner Nachbarschaft zu übernehmen, wurde vertan. Doch damit nicht genug: Die anfänglichen Probleme der deutschen Unterstützung für die französische Luftwaffe in Form von Tankflugzeugen offenbarte noch ein ganz anderes Rätsel: Es stellte sich heraus, dass die deutschen Flugzeuge nicht zertifiziert waren, französische LFZ zu betanken. Wie kann dies bei dem gemeinsamen Engagement in der Battlegroup Weimar überhaupt der Fall sein? Lässt sich die Einsatzfähigkeit von Battlegroups, die ohnehin noch nie aktiv in Einsätze entsandt wurden und nur unregelmäßig trainieren überhaupt feststellen? Ist die Krisenreaktionsfähigkeit der EU durch die Battlegroups eine Mär; ein strategisches Wunschbild?

Fest steht, dass das Projekt der EU-Battlegroups grundsätzlich ein gutes, ein notwendiges Unterfangen war und ist. Insbesondere die Entwicklung zu mehr multinationaler Interoperabilität der europäischen Armeen kann belegt werden. Gleichwohl leidet das Projekt an ganz allgemeinen, strukturellen Problemen der Europäischen Union. Akute Problemstellungen werden zurzeit nicht angegangen. Es bedarf der Weiterentwicklung und in der Folge auch der tatsächlichen Verwendung der Battlegroups, damit sie politisch legitimiert und erwünscht sowie militärisch handlungsfähig werden. Im April dieses Jahres machte der deutsche Verteidigungsminister de Maizière einen in Brüssel und Europa wohlwollend aufgenommenen Vorschlag zur Kompetenzerweiterung der EU-Battlegroups. So könnten auch Trainingsmissionen, Beobachtungsmissionen und zeitlich begrenzte militärische Sicherungsmaßnahmen, beispielsweise bei Wahlen, im Einklang mit den VN in den Fokus rücken. Zudem könnte die einseitige Fokussierung auf das Heer durch mehr Luftwaffen- und Marinefragen erweitert werden. Eine angepasste, verbesserte und zielorientiertere Funktionsweise der Battlegroups sollte dem ursprünglichen Gedanken einer gemeinsamen europäischen Krisenreaktionstruppe wieder mehr Rückenwind verschaffen. Mehr Training, mehr Einsatz, mehr realistische Perspektiven könnten die Schlagworte sein. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Europäische Sicherheitsstrategie, die im kommenden Dezember auf einem EU-Gipfel verabschiedet werden soll, dazu die richtigen Impulse setzen wird.

Zum Weiterlesen (chronologisch nach Erscheinung):

Rolf Clement: Fehlende Gemeinsamkeit in der europäischen Sicherheitspolitik, Europäische Sicherheit und Technik, Juli 2013, S. 13-15.

Christoph Hasselbach: Debate surrounds future of EU battle groups, Deutsche Welle Online, 01.06.2013.

European Union. External Action: European Battlegroups, April 2013.

Kim Son Hoang: EU-Battlegroups. Europas arbeitslose Streitkraft, derStandart.at, 19.03.2013.

Myrto Hatzigeorgopoulos: The Role of EU Battlegroups in European Defence, ISIS Europe, European Security Review, Juni 2012.

Christian Mölling: EU–Battlegroups. Stand und Probleme der Umsetzung in Deutschland und für die EU, Diskussionspapier Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, 05.03.2007.

European Parliament: DGExPo/B/PolDep/Note/2006_145, The EU Battlegroups, 12.09.2006


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