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Rohstoffpolitik zwischen Abhängigkeit, Bilateralismus und Strategielosigkeit?

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Deutschland ist eine der führenden Exportnationen der Welt. Jedoch führen uns momentan die hohen Preise für Rohöl und Energie mehr als deutlich vor Augen, wie abhängig unsere wirtschaftliche Stärke von einem kontinuierlichen, sicheren Rohstoffimport ist. Teures Benzin, höhere Produktions- und Transportkosten für die Industrie und Inflation sind nur einige Folgen von hohen Rohstoffpreisen, die unter anderem auf Spekulationen an den Börsen, auf die allgemein unsichere Lage des Vorderen Orients und auf die mittel- bis langfristig absehbare Knappheit zurückzuführen sind. Zwar kehrt Libyen als Ölexporteur allmählich auf die Bildfläche zurück, doch fällt mit dem Iran bekanntlich ein anderer Exporteur weg. Hinzu kommen seltene Erden und Edelmetalle, die schon jetzt rar und teuer sind.

Wie gestaltet sich die Abhängigkeit Europas von Rohstoff- und Energiemporten tatsächlich? Wie steht es im Vergleich zu anderen Importnationen? Welche politischen und strategischen Konsequenzen werden deutschland- und europaweit ins Auge gefasst und welche Alternativen zu Ölimporten aus dem Nahen Osten und zu Gasimporten aus Russland gibt es? Ich möchte mich hier auf Energierohstoffe beschränken und seltene Erden, die zweifellos ebenso von Wichtigkeit sind, nicht weiter behandeln. Einige Denkanstöße und Fragestellungen im Überblick:

1) Abhängigkeit

Europa fördert nicht genug Energierohstoffe, um sich selbst und seine Industrie zu versorgen. Nach jetztigem Forschungsstand haben wir auch keine bedeutenden Reserven von fossilen Energieträgern, abgesehen von weltweit vergleichsweise kleinen Mengen an Erdgas, Braunkohle, Steinkohle, Nordseeöl und Holz. Hoffnungen für eine zumindest kleine Verbesserung der Situation setzt man auf Explorationsvorhaben in den Bereichen Öl- und Gasförderung in Schiefersand, Kohleflözen und Tonsteinen sowie im Bereich der mikrobiellen Kohlenwasserstoffbildung und dessen Abbau, die allerdings mit hohen ökologischen Schäden die Umwelt belasten könnten.

Besonders in Deutschland versucht man mit dem Auf- und Ausbau der erneuerbaren Energien mehr Eigenversorgung zu schaffen. Die Elektromobilität soll Unabhängigkeiten von Ölimporten schaffen. Durch den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie wird die Eigenproduktion von Energie allerdings zunächst zurückgeworfen, während beinahe die gesamte Welt ihre Kernenergiekapazität ausbaut. Zusätzlich ruft die Bundesregierung in diversen Initiativen und durch Geldpakete begleitet zu Energieeffizienz und Sparsamkeit auf. Alles in allem sind wir allerdings stark von Primärenergierohstoffen aus dem Ausland angewiesen und können nicht wie andere europäische Nationen auf wirtschaftliche Verbindungen zu ehemaligen Kolonien zurückgreifen.

Von Seiten der Bundesregierung wird realistischerweise weiterhin auf Handel gesetzt. Dazu sollen Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen für zivile Firmen abgebaut, der Rohstoffimport und seine Bezugsquellen sollen diversifiziert werden. Entwicklungshilfe ist in manchen Fällen auch auf zukünftig möglicherweise erschließbare Rohstoffvorkommen angelegt. Bislang sind wir insgesamt also langfristig von Ölimporten aus dem Nahen Osten und von Gasimporten vor allem aus Russland abhängig. Die bisherigen Strategien der Bundesregierung mögen auf lange Sicht nicht ausreichend sein. Die Diskussionen um eine europäische Energie- und Netzpolitik stehen erst an ihrem Anfang.

2) Bilaterale Verträge als Teil der Lösung

Die Bundesregierung setzte in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt auf bilaterale Verträge. Beispiele liefern die Lieferverträge mit Gazprom sowie jüngst die Abkommen der Bundesrepublik mit der Mongolei oder Kasachstan, in diesem Falle auch um seltene Erden. Von Seiten der Wirtschaft wird regelmäßig auch ein stärkeres Engagement in Afrika eingefordert. Deutschland und Europa sind gezwungen, am internationalen Rennen um die Rohstoffe teilzunehmen und nicht abzuwarten, bis China und andere Gestaltungsmächte in beinahe kolonialer Weise die Welt unter sich aufgeteilt haben. Offenbar ist man allerdings auch auf die Rohstoffe von Nationen angewiesen, die ein anderes Verständnis von Menschenrechten und Freiheit haben. Dort gilt es klug abzuwägen und seine eigenen Werte nicht zu verraten.

3) Gegenbeispiele USA, Kanada und Australien

Die drei oben genannten Nationen betreiben in den letzten Jahren massive Programme zur stärkeren energetischen Selbstversorgung. Insbesondere die Öl- und Gasförderung aus Ölsanden wurde extensiv ausgebaut, oft auf Kosten der Natur. Australien ist ohnehin einer der größten Kohle- und Uranexporteure der Welt. Obama hat zwar zuletzt dem Ausbau einer Pipeline von Kanada in die USA aus ökologischen Bedenken nicht zugestimmt, jedoch zeigt die Tendenz klar in diese Richtung. Im amerikanischen Wahlkampf sind ein stärkerer Abbau der heimischen Energievorkommen, eine Ausweitung der Öllieferverträge mit Kanada und die Erforschung neuer Energieressourcen Thema; ebenso der Ausbau der Kernenergie. Romney fordert in seinen geostrategischen Plänen gar eine Unterstützung Europas, damit es unabhängiger von Russlands Gas werde.

4) Ein Zwischenfazit

Auf mittelfristige Sicht sind wir sicher mit Energierohstoffen versorgt. Alarmismus und Panikmache sind überzogen. Einher gehen allerdings steigende Preise und, beachtet man die Lage im Vorderen Orient oder das Großmachtgebaren Russlands gegenüber seinen Gasabnehmern, steigende Unsicherheiten. Die aufstrebenden Gestaltungsmächte wie China, Indien oder Brasilien besitzen selbst Rohstoffe, engagieren sich aber stark im globalen Rennen um dieselben. Die USA und Kanada haben offenbar in einem stärkeren Maße als wir Europäer verstanden, wie wichtig ein möglichst hoher Grad an Selbstversorgung ist. In Europa fehlt eine gemeinsame, zielgerichtete Energiepolitik. Stattdessen dominieren Bilateralismus und Partikularinteressen. Es bleibt zu hoffen, dass auf europäischer Ebene in Zukunft die Einsicht Einzug erhält, wie wichtig eine einheitliche Energiepolitik strategisch, und auch sicherheits- und wirtschaftspolitisch ist. Immerhin ist Europa der drittgrößte Energiekonsument der Welt. Insbesondere eine zu starke Anlehnung an Russland bei gleichzeitiger politischer Partnerschaft mit den USA erscheint mir möglicherweise als unsicher und wagemutig.

Nachtrag: Eine treffliche aktuelle Einschätzung bietet ein Artikel der Financial Times Deutschland des gestrigen Tages.

Hier noch ein paar Grafiken, Dokumente und Verweise:

Weltölkonsum 1980-2010; Grafik: U.S. Energy Information Administration
Vergleich des Einsatzes der Primärenergieträger und des Verhältnisses der Eigenversorgung und des Importanteils 2000 und 2010 für Deutschland; AGEB 2011, LBEG 2011; http://www.bgr.bund.de
Anteile der nicht-erneuerbaren Energierohstoffe an Förderung, Reserven und Ressourcen weltweit für Ende 2010, BGR, http://www.bgr.bund.de

Deutsche Rohstoffagentur: Kurzstudie Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2011

U.S. Energy Information Administration: Annual Energy Outlook 2012, Early Release Overview

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Rohstoffstrategie
der Bundesregierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands
mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen 2010

Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kasachstan über Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie- und Technologiebereich


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